Reisebefehl und -route
 

Die erste Weltreise meines Großvaters im Jahr 1930 war auch zugleich die erste Auslandsreise des Kreuzer Karlsruhe. Auf der Anfangsseite des Albums ist ein Foto des maschinegetippten „Reisebefehls“, unterschrieben vom Reichspräsidenten von Hindenburg, eingeklebt. Wörtlich heißt es: „Der Kreuzer 'Karlsruhe' hat am 19. Mai 1930 eine etwa siebenmonatige Reise in das Ausland anzutreten. Reiseweg: Mittelmeer, Rotes Meer, Seychellen, Ostafrika, Südafrika, Ostküste von Südamerika, Cap Verden, Spanien, Heimat. Den Reiseplan bestimmt der Chef der Marineleitung.“

Der Reiseweg ist vorn eingeklebt; akribisch sind die Seemeilen von Landgang zu Landgang aufgeschrieben. Insgesamt betrug diese erste Weltreise meines Großvaters 23.444 Seemeilen. Die zweite war mit 42.070 Seemeilen fast doppelt so lang und dauerte entsprechend auch mehr als ein Jahr – sie führte den Großvater bis Alaska und Honolulu.

Die Reise begann Ende November 1931 und Fotos zeigen meinen Großvater in der Gesellschaft von Kameraden bei seinem ersten Weihnachten auf See, irgendwo zwischen St. Cruz und Bermuda.

Fast immer chronologisch folgen die sorgsam eingeklebten und durchgehend mit Bildunterschriften versehenen Fotos.

Der dritte Kreuzer Karlsruhe, ein Kadettenschulschiff der Reichsmarine, reiste Anfang der dreißiger Jahre in friedlicher Absicht. Die Reichsmarine war noch verhältnismäßig jung. Aus Sicht der Admiralität hatte nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg die Notwendigkeit einer zumindest kleinen deutschen Marine mit vielfältigen Aufgaben bestanden – zum Beispiel der Sicherung der Küste und der Hoheitsgewässer sowie der Seeverbindung mit Ostpreußen und Skandinavien sowie Minenräum- und Repräsentationsaufgaben. Der Kreuzer Karlsruhe nahm repräsentative Aufgaben wahr. Fotografien von Menschenaufläufen in ausländischen Häfen, in die er einlief oder die er verließ, belegen, dass er als Attraktion willkommen war. Es sieht immer aus, als würden die Matrosen, die als Repräsentanten ihres Landes Deutschland, dem Deutschland der Weimarer Republik auftreten, dort, wo sie anlegen, gern gesehen. Heinrich Mann schreibt über diese Zwischenkriegszeit (S. 74): „Gemäßigte Geister sogar glaubten damals die Zivilisation gesichert, das Leben besänftigt, die Luft zu atmen gut. Sie waren nicht weit entfernt, zu meinen, so werde es bleiben, die ganze Spanne ihres Daseins. Welche Enttäuschung! Das war nur der Ruhepunkt genau in der Mitte zwischen zwei Kriegen.“

Fotos zeigen, wie die Besatzung der Karlsruhe noch 1932 auf Honolulu mit Blumenkränzen, so genannten Lai-Kränzen empfangen wurden. Beim Auslaufen des Kreuzer Karlsruhe aus dem Hafen, so lässt ein Bild erkennen, wirft dessen Besatzung die Kränze ins Wasser – als Abschiedsgrüße an jene, welche sie geschenkt haben. Auch dem Abschied vorangehende Tanzdarbietungen sind dokumentiert: Ein Foto mit dem Untertitel „Hawaiiengirls“ lässt vier Südseeschönheiten erkennen, welche, mit Kränzen geschmückt, zu Ehren der Gäste einen Tanz vorführen und manchem Seemann das Herz brechen.

Unter dem Kommando von Kommandant Kapitän zur See Lindau lief das Schiff zu seiner ersten Weltreise in Kiel an der Ostsee, dem Heimathafen, aus und führte seine Tour nach Wilhelmshaven in der Nordsee fort.

Die ersten Bilder, die darauf folgen, sind untertitelt mit „Schlingern im Atlantischen Ozean“,

„Sonnenuntergang über dem Atlantik“,

dann gibt es eine Aufnahme mit dem Titel „Nordküste von Spanien“,

darauf folgt „Lissabon an der Backbordseite“.

Immer noch kein Landgang, denn der zurückzulegende Weg bis zum ersten Landgang in Cagliari betrug 2.600 Seemeilen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Seeleute für jede Unterhaltung sehr dankbar waren – so folgt zum Beispiel auf das Bild, das Portugal in weiter Entfernung zeigt, ein Foto mit Besatzungsmitgliedern, die den ersten fliegenden Fisch gefangen haben und diesen präsentieren. Ich zähle mindestens neun Männer auf dem Bild, so wichtig ist das Ereignis. Der Großvater ist nicht dabei. Im Vordergrund der fliegende Fisch, auf den die Fänger sichtbar stolz sind. Ganz davon abgesehen, dass dieser Fund gewiss Abwechslung und Unterhaltung bot, ist auch anzunehmen, dass einige der Seeleute einen solchen Fisch zum ersten Mal sahen.

Im weiteren Verlauf der Reise passierte der Kreuzer die Felsen an der Einfahrt von Gibraltar, darauf folgen Bilder, die mit einem Datum unterlegt sind: „Passieren der deutschen Flotte im Mittelmeer am 31.05.1930“ – man befand sich seit zwölf Tagen auf See. Anders als bei der zweiten Weltreise, ist bei der ersten leider immer nur die Menge an Seemeilen angegeben, die das Schiff zurücklegt, nicht aber die Daten, zu welchen es die Häfen anläuft.