Drei „Kreuzer Karlsruhe“
 

Die Zeit der Wirtschaftskrise verbrachte der Großvater bei der Marine, mit welcher er als junger Mann zweimal die Welt umschiffte: „Durch die wirtschaftliche Depression im Inlande ist aber der Andrang zur See ganz riesig gewachsen. Doch sind die Aussichten, in die Schiffsoffizierslaufbahn hineinzukommen zurzeit außerordentlich schlecht“, bemerkt dazu das Buch über die Laufbahnen in der Handels- und Reichsmarine“ von 1927. Nach einer halbjährigen Ausbildung in Stralsund trat der Großvater als Matrose 1929 seinen Dienst auf dem Kreuzer Karlsruhe an, einem der drei in den zwanziger Jahren neu gebauten „leichten“ Kreuzer der so genannten „K“-Klasse, zu welcher außer diesem die Kreuzer Köln und Königsberg – die Städtenamen begannen wie „Karlsruhe“ mit dem Buchstaben „K“ – gehörten. Die Leichtigkeit der „K“-Kreuzer war bedingt durch ihre Bauweise, die den Richtlinien der Gewichtseinschränkungen des Versailler Vertrags entsprach. Diese Leichtigkeit, vorgeschrieben, um nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg eine allzu schlagkräftige deutsche Flotte zu verhindern, trug jedoch zu erhöhter Geschwindigkeit bei. Bei einer Wasserverdrängung von 6.000 Tons konnte das Schiff eine offizielle Geschwindigkeit von 32 Seemeilen, das sind 60 Kilometer, pro Stunde erreichen. Zum mit dem Kreuzer Karlsruhe baugleichen Kreuzer Königsberg heißt es in dem mir aus des Großvaters Nachlass erhaltenen Heft zur Marine mit „Bildern aus der deutschen Marinegeschichte“ (S. 50): „Mehr als bei irgendeinem anderen Schiff ist beim Bau der 'Königsberg' das Lichtbogenschweißverfahren angewendet worden, an Stelle der früher üblichen Nietungen. Hierdurch sind ganz erhebliche Gewichtsersparnisse erzielt worden, die anderen Einrichtungen zu Gute gekommen sind und wodurch sich die größere Länge des Schiffes erklärt. Besonders weist die Artillerie mit ihrer Feuerleitungsanlage erhebliche Verbesserungen gegen 'Emden' auf. Die 9 - 15 cm Geschütze stehen in Drillingstürmen, eine Geschützaufstellung, die die deutsche Marine zum ersten Male gewählt hat. Neben anderen Vorteilen bedeutet sie eine erhebliche Gewichtsersparnis, und diese Gewichtsersparnis ist für unsere Neubauten bei der starken Beschränkung durch das Versailler Diktat erstes Erfordernis. ... Den Dampf für die Maschinen liefern sechs Doppelender-Kessel mit reiner Ölheizung. 'Königsberg' ist somit der erste deutsche Kreuzer 'ohne Kohlen'. ... Das Schiff stellt zweifellos in seinen technischen Einrichtungen das Modernste und Beste dar, was unter den vielen drückenden Bestimmungen des Versailler Diktates geleistet werden kann.“ Bei den Neubauten handelte es sich um so genannte „geschützte Kreuzer“, das bedeutete Schiffe mit einem Panzerdeck, mit jedoch nur einem schwachen vertikalen Panzerschutz zur Wasserlinie. Der Kreuzer Karlsruhe hatte schon zwei Vorgänger mit dem gleichen Namen gehabt, von denen der erste bereits 1914 im Ersten Weltkrieg versenkt worden war. Dem zweiten Kreuzer Karlsruhe, noch während des Krieges nach Versenkung des ersten gebaut, wurde ein ähnliches Schicksal zuteil: Er wurde – allerdings von der eigenen Besatzung – am 21. Juni 1919 in der Bucht von Scapa Flow, zwischen den südlichen Orkney-Inseln, Schottland und Großbritannien, versenkt. Dadurch sei „die deutsche Ehre“ bewahrt worden, heißt es in der Taufrede des Bürgermeisters der namensgebenden Stadt anlässlich des Stapellaufs des dritten Kreuzer Karlsruhe im August 1927 in Kiel im bereits 1871 zum Reichskriegshafen erhobenen Traditionshafen der kaiserlichen Marine. 1918 waren nach dem Waffenstillstand die deutschen Schiffe in Scapa Flow, dem Heimathafen der britischen Flotte, interniert worden. Noch 1919 waren dort Restbesatzungen der deutschen Hochseeflotte interniert. Da am Mittag des 20. Juni 1919 der Waffenstillstand ablaufen sollte, man davon ausging, dass die deutsche Regierung den Friedensvertrag nicht unterschreiben würde, die kriegerischen Handlungen am folgenden Tag wieder aufgenommen werden würden, außerdem die deutschen Schiffe bedingungslos übergeben werden müssten, gab Konteradmiral Ludwig von Reuter am 21. Juni den Befehl zur Selbstversenkung der deutschen Flotte. Bloß eine Woche später, am 28. Juni, wurde der Vertrag von Versailles unterschrieben. Im Zweiten Weltkrieg wurde auch der dritte Kreuzer Karlsruhe, allerdings ohne den Großvater, der seinen Kriegsdienst zu diesem Zeitpunkt als Ausbilder an der Marineschule in Kiel an Land versah, 1940 von einem britischen U-Boot mit einem Torpedo getroffen, und, nachdem die Besatzung des immer tiefer sackenden Kreuzers auf deutsche Schiffe gerettet worden war, durch ein deutsches Torpedoboot endgültig versenkt.

Seit dem Tod der Großmutter, die den Großvater um mehr als ein Jahrzehnt überlebte, gehören mir die beiden Fotoalben, welche jeweils eine Weltreise des Großvaters umfangreich beweisen. Auf den schwarzen Alben befindet sich oben links das Wappen der Stadt Karlsruhe, der Namensgeberin des Schiffes, welche die Hauptstadt des damaligen Freistaates Baden war. Es ist ein in Rot beiderseits weiß eingefasster gelber Schrägbalken, auf dem das Wort FIDELITAS (lateinisch „Treue“) in schwarzen lateinischen
Ein schöner Ausblick
Buchstaben steht. Unten rechts ist in goldener Frakturschrift aufgedruckt: „Meine Auslandsreise mit Kreuzer 'Karlsruhe'“, was nahelegt, dass die Fotodokumentation meines Großvaters nicht die einzige war, sondern verschiedene Besatzungsmitglieder des Kreuzer Karlsruhe sich im Besitz eines solchen Reisebandes befunden haben. Die Bilder sind von einem Bordfotografen professionell gemacht. Ihre Auswahl, ebenso wie die Bildunterschriften, ist jedoch individuell.

Die Kommentare hat zwangsläufig jeder der Marinekameraden zu den von ihm erworbenen Fotos entsprechend seiner eigenen Wahrnehmung ersonnen. In einem Internetauktionshaus wurde von einem Antiquitätenhändler aus dem Nachlass eines Kameraden des Großvaters bei der zweiten Weltreise das Album in Einzelseiten zerrissen versteigert. Ein Bild von jungen Damen, die, wahrscheinlich auf der zweiten Weltreise im Hafen von Seattle durch das Schiffsbullauge unbeobachtet zu betrachten waren und wohl auch unbeobachtet aufgenommen worden sind, mag meinem Großvater, der wegen seiner ausgeprägten Schwäche für Frauen von seinen Kameraden halb neidisch, halb spöttisch „Zucker-Willy“ genannt wurde, ein „netter Blick aus dem Seitenfenster“ gewesen sein. Bei seinem mir leider unbekannt bleibenden und deshalb namenlosen Kameraden hieß es nur lakonisch: „Besucher kommen an Bord“.