Der Großvater
 

Der Großvater Wilhelm, eines von zwölf Kindern, geboren 1908 in Oberhausen im Rheinland, war ganz offensichtlich nach dem letzten deutschen Kaiser, welcher seinem Volk in Aussicht gestellt hatte, es „herrlichen Zeiten“ entgegenzuführen, benannt worden. Damit hob er sich unter seinen elf Geschwistern hervor, die von den katholischen Eltern auf die Namen von Heiligen getauft worden waren. Viele derer, die nicht schon im Kindesalter starben, sollten den Zweiten Weltkrieg nicht überleben. Ihre frommen Namen haben ihnen auch nicht mehr genützt, als es Großvater Wilhelm geschadet hat, wie der Kaiser zu heißen, der seines Landes floh, als mein Großvater die Hälfte seiner Schulzeit absolviert hatte.


Den Großvater habe ich als sehr sauber, ordentlich und genau in Erinnerung. Als Kind beeindruckte mich, dass er selbst Urlaubsgrüße, welche er auf bunten Postkarten erhielt, handschriftlich mit einem Eingangsvermerk versah. Die Fotos in den beiden Alben über die Weltreisen sind auf schwarzem Papier aufgeklebt, auf weißem Papier hat Wilhelm ordentlich mit einer Schreibmaschine getippt, was auf dem jeweiligen Bild zu sehen ist. Als kleine weiße Streifen hat er die Bildunterschriften ausgeschnitten und auf den schwarzen Karton unter die entsprechenden Fotografien geklebt. Bezeichnungen und Ortsnamen, welche er zuvor aus Unkenntnis oder auf Grund falscher Informationen unrichtig geschrieben hatte, hat er im Nachhinein teilweise handschriftlich korrigiert.

Wilhelm muss sehr eitel gewesen sein. Noch als alter Mann pflegte er seine Haut mit Nivea-Creme und behauptete, dies sein ganzes Leben so gehalten zu haben. Auf Bildern aus seiner Jugend, und die einzigen, die davon existieren, sind die aus der Marinezeit, sieht man einen attraktiven und gepflegten jungen Mann. Ältere Bilder vom Großvater finden sich nicht, was wahrscheinlich daran liegt, dass es im Ersten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit für kinderreiche Familien Wichtigeres gab, als ihre zahlreichen Abkömmlinge fotografieren zu lassen. Die Nachkriegszeit und die ihr folgende ökonomische Krise aber sollte meinem Großvater eine Möglichkeit eröffnen, die er ohne diese Umstände gewiss niemals für sich in Erwägung gezogen hätte: Als ausgebildeten Zimmermann erfasste ihn wie Millionen anderer die Massenarbeitslosigkeit der so genannten „goldenen“ zwanziger Jahre, die ihn dazu zwang, eine neue Lösung zu finden, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.