Äquatortaufe
 

Am 6. Juli 1930 überquerte mein Großvater zum ersten Mal den Äquator.

Es folgt eine umfangreiche fotografische Dokumentation der „Äquatortaufe“, einer Art Initiationsritus für jene, welche zum ersten Mal die Äquatorlinie passierten, ausgeführt an ihnen durch ihre Kameraden, die bereits mindestens einmal über den Weltgürtel von Nord nach Süd gereist waren. Es zeigt sich ein wildes Schauspiel mit Verkleidungen,

Ansprachen,

Tauforden sowie ausgeprägten Demütigungen und Misshandlungen der zu Taufenden. Ein Seemannsritual, dem hohe Bedeutung beigemessen wurde und das nicht zuletzt dazu diente, „offene Rechnungen“ unter den Kameraden zu begleichen, indem man die Gelegenheit, sie mit scheinbarer Notwendigkeit zu bestrafen, weidlich nutzte.

Die Taufurkunde meines Großvaters, ausgestellt mit Siegel von „Neptun, Herrscher aller Meere“, ist in dem Album eingeklebt. Den Täufling selbst kann ich auf den zahlreichen Fotos nicht identifizieren.


Bei der zweiten Weltreise allerdings ist er sehr gut zu erkennen – dieses Mal nicht als passiver Täufling unvorhersehbaren Drangsalierungen ausgesetzt, sondern als einer der aktiv an der Taufe Beteiligten. Einer, der zum „Gefolge“ des seinen Dreizack in der Hand tragenden Neptuns gehört. Die großväterliche Haut ist anlässlich der zweiten Äquatorüberquerung durch Schmiere dick geschwärzt. Er selbst ist dieses Mal derjenige, der an der Schikane der Neulinge teilhat und sie mit diesem Initiationsritus in die Gemeinschaft aufnimmt.